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Sokrates

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2023-01-16 2023-01-16 16.01.2023
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Sokrates

Bemerkenswert ist, dass ein so berühmter Philosoph wie Sokrates keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen hat. Sein philosophischer Nachlass ist hauptsächlich von seinem Schüler Platon überliefert. Um die Person Sokrates zu begreifen, ist es notwendig, seine feststehenden Lebensdaten in einen historischen Kontext zu bringen. Geboren um 470 v. Chr. in Athen, hat Sokrates die Hauptphase der Errichtung der damaligen Neubauten auf der Akropolis (Propyläen, Niketempel, Erechtheion und Parthenon) durch den Baumeister Phidias zwischen 447-406 v. Chr. zur Gänze miterlebt. Da sein Vater Sophroniskos Steinmetz war, hätte er auch durchaus in seine Fußstapfen treten können. Diesbezüglich ist jedoch nichts bekannt. Seine Mutter Phainarete war Hebamme und hatte sicherlich den größeren Einfluss auf ihn. Seine beide berufstätigen Eltern wirken auf uns heute noch sehr modern. Der Beruf seiner Mutter hat ihn dazu bewegt, seine eigene geistige, philosophische Tätigkeit zu vergleichen mit dem Hervorholen eines Kindes aus dem Mutterleib, so wie der Philosoph das noch nicht Sichtbare, Begreifbare ans Tageslicht zu bringen vermag durch gezielte Fragen, die letztlich zu Wissen führen, auch wenn man die Antworten wiederum hinterfragt.
Der menschliche Geburtsvorgang hat ja nun ebenfalls seine Dauer! Sokrates Nähe zum Menschen ist somit unverkennbar und erklärt, warum Naturwissenschaften oder eine Rhetorik um ihrer selbst Willen für ihn in den Hintergrund treten. So grenzt er sich automatisch von den damaligen Lehrern ab, welche die Kinder der Wohlhabenden gegen großzügiges Honorar unterrichteten. Diese Lehrer, später „Sophisten“ genannt, vermittelten lediglich den Lehrstoff, wobei insbesondere die Rhetorik dazu diente, den Schüler in eine für ihn überlegene Situation zu bringen. Dadurch konnte der Schüler sein Wissen zu egoistischen, machtgierigen Zielen anwenden. Sokrates hingegen nannte seine Schüler „Freunde“ („φίλοι“), setzte sich damit auf gleiche Ebene und ging den Weg der Wissensfindung mit. Dieses Zurücknehmen der eigenen Person, hierzulande etwas altmodisch als „Demut“ bezeichnet, geht bei Sokrates einher mit „Mut“, Tapferkeit und Tugend („Αρετή“). Seine Tapferkeit ist belegt durch seine Teilnahme als Hoplit im Peloponnesischen Krieg, wo er an den Feldzügen bei Poteidaia, Delion und Amphipolis (von 432 bis 422 v. Chr.) teilnahm.
Da er als Hoplit (schwerbewaffneter Soldat) die Bewaffnung aus eigenem Vermögen stellen musste, ist sicher, dass er in der damaligen Gesellschaft zum Mittelstand gehörte. Danach zeichnete er sich als Verwalter politischer Ämter in seiner Heimatstadt Athen aus, die er ohne persönliche Rücksichten, immer Gesetz und Gerechtigkeit verpflichtet, wahrnahm. Er stellte sich zum Beispiel als Einziger gegen die Verurteilung zum Tode dreier Männer, die angeblich Verrat begangen haben sollten. Die letzte Bewährung bestand Sokrates, als er selbst nach einer Anklage von Anykos, Meletos und Lykon wegen angeblicher Einführung neuer Götter und Verführung der Jugend zum Tode verurteilt wurde. Die damalige Praxis der Hinrichtung war das Trinken des Schierlingsbechers, ein langsam wirkender Gifttrunk, der sicher zum Tode führte. Sokrates lehnte es ab, sich von seinen Freunden zur Flucht verhelfen zu lassen („es ist besser, Unrecht zu erleiden, als es selber zu tun“). Seine innere Richtschnur, die er „Daimonion“ nannte, hielt ihn davon ab. Platon hat in seinen Dialogen eindringlich die letzten Stunden seines Lehrers und Freundes beschrieben, die er in philosophischen Gesprächen mit Kriton und Phaidon verbrachte. Diese letzte Konsequenz des Sokrates war für seine Schüler, bzw. „Freunde“, sicherlich das Beeindruckendste und Erschütterndste in ihrem Leben.
Neben den bekannten Schülern, wie z.B. Anthisthenes, Aristippas, Euklid von Megara, Phaidon von Elis, zählten nach seinem Tod auch insbesondere Aristoteles und Diogenes Laertios zu seinen noch von ihm beeinflussten Schülern. All diesen gemeinsam ist, dass sie in Sokrates ein Vorbild gesehen haben, dessen ganzes Leben für sie beispielhaft war. Sein ausgeglichenes Verhältnis zwischen „Mut“ (s. Kriegsdienst) und „Demut“ (bescheidenes Auftreten) hat all die genannten Schüler geprägt, wobei bis heute noch sein Ausspruch: „ich weiß nur, dass ich nichts weiß“, einer seiner bekanntesten ist. Darauf beruft Sokrates seine Autorität und seine Pädagogik: „es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts zu lernen“ und „wen das Wort nicht schlägt, den schlägt auch der Stock nicht“. Sein Ziel war die Vermittlung der „Αρετή“ (Tugend), das heißt, zu wissen, was das „Gute“ ist, zu fragen und Dinge zu vergleichen, um das Wesen einer Sache zu begreifen. Der Komödiendichter Aristophanes, der auch als Schüler des Sokrates gilt, hat in seiner Komödie „Die Wolken“ die Sophisten und ihre „Bildung“ aufs Korn genommen, wobei er Sokrates, der in diesem Werk die Hauptrolle spielt, sich aber deutlich von den Sophisten abhebt, eigentlich als falsches Beispiel heranzieht.
Dass Sokrates z.B. auch mit seiner Frau Xanthippe sich auf Gespräche einließ, hat Aristophanes, an dieser Stelle ganz Kind seiner Zeit mit Vorrangstellung der Männer, sie zu einer unbequemen, zänkischen Gattin werden lassen. Durch Platons Symposion wissen wir auch von einem Schüler des Sokrates, der ihm in jungen Jahren folgte, sich jedoch später voll und ganz den Sophisten anschloss: Alkibiades. Dieser von Platon als schöner und hochbegabter, jedoch mit unbändigem Temperament und maßlos ehrgeizig beschriebene Jüngling aus reichem Hause (sein Vormund war Perikles) hatte jene Eigenschaften, die Sokrates folgendermaßen beschrieb: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer“. Nach einem wilden Leben, geprägt von Ausschweifungen und Verrat, starb Alkibiades durch die Hand eines Mörders. Die Art der Bescheidenheit des Sokrates bewahrte seine treuen Schüler davor, wie Alkibiades durch Maßlosigkeit in gefährliche Abhängigkeiten zu geraten. Man kann Sokrates als ersten Lehrer betrachten, der bei seinen Schülern eine Pädagogik anwandte, die heute noch Gültigkeit hat.